Sieben Tage in Tibet – Teil 1
Sieben Tage in Tibet – Teil 1

Sieben Tage in Tibet – Teil 1

Wir haben eine 7 Tage Tour durch Tibet gebucht. Im ersten Teil unseres Berichtes über Tibet geht es vor allem um die Stadt Lhasa, unsere geführte Tour und den Buddhismus.

Teil 1: Ankommen in Lhasa (05.11.)

Das Dach der Welt: Tibet ist die höchstgelegene Region der Welt, über 85% des Gebiets befindet sich oberhalb 4.000 Metern über dem Meeresspiegel. Unser Zug kommt pünktlich in Lhasa an. Wir sind die einzigen europäischen Gesichter unter den rund tausend Gästen, die den Zug verlassen. Die einzigen anderen Ausländer sind zwei Gäste aus Singapur. Bevor wir den Bahnhof verlassen, müssen wir uns in der Immigration vorstellen und unsere Pässe, Visa und Permits vorzeigen. Unser Fahrer, der uns zum Hotel bringt, erwartet uns vor dem Bahnhof. Am Hotel angekommen, wird uns ein weißer Schal überreicht. Ein typisches Willkommensritual. Der weiße Schal steht symbolisch für die “reine Intention”, denn die Intention bestimme, mehr noch als unsere Handlungen, unser Karma.

Ebenso wichtig für unser Karma ist anscheinend auch, geltende lokale Regeln und Verhaltenshinweisen zu befolgen. Daher erhalten wir einen Zettel mit folgenden freundlichen Hinweisen: Es ist nicht erlaubt Polizei- oder Militäranlagen zu fotografieren, geheime Informationen zu sammeln, antisozialistische Slogans zu rufen oder entsprechende Banner zu hissen. Soweit klar. Außerdem sollen wir uns nicht in Gegenden außerhalb der geplanten Route begeben. Es ist uns grundsätzlich untersagt Unternehmungen allein zu machen. Wenn wir in unserer freien Zeit allein unterwegs sind, müssen wir unseren Tour Guide darüber informieren. Wir senden unserem Tour Guide also eine Nachricht über WeChat, um ihn zu fragen, ob wir zum Abendessen in die Altstadt gehen dürfen. Seine prompte Antwort „of course, enjoy!“.

Tag 2: Lhasa und Umgebung

Am nächsten Morgen kann Christian wegen Erkältung und Fieber das Hotel nicht verlassen. Ausgerechnet jetzt wo wir in Tibet sind, aber es lässt sich nicht ändern. Wir können nur hoffen, dass er sich schnell erholt, denn in den nächsten Tagen steht eine Reise zum Mount Everest auf über 5.000 Höhenmetern an. Ich muss die ersten zwei Tage und Ausflüge durch Lhasa und die Umgebung allein beschreiten. Aber ich bin natürlich nicht allein in der Gruppe. Wir sind zu zehnt, ein Grieche, ein Franzose, ein Ehepaar aus Shanghai (sie ist Chinesin, er kommt aus Rumänien und ist erst vor einer Weile beruflich nach Shanghai gezogen) ein älteres Ehepaar aus Italien, die zwei Männer aus Singapur, die mit uns im Zug angereist sind, eine Philippinin und ein älterer Mann, der wohl aus Russland stammt, aber eine chinesische ID Card besitzt und außerdem perfekt Deutsch spricht. Unser Guide, holt uns in unserem Hotel ab und stellt sich uns vor. Sein Name ist Tashi, was auf Tibetisch „Good Luck“ bedeutet. Seinen ersten Namen bekomme man nicht von seinen Eltern, sondern von einem Lama, weshalb sein Name sehr häufig sei. Tashi ist Buddhist, obwohl er seinen Glauben nicht streng praktiziert. Er weiß eine Menge über die buddhistischen Lehren, die Kultur und Geschichte Tibets und ist sehr engagiert uns in der kurzen Zeit so viel wie möglich beizubringen. „You can ask me anything!“, sagt er und ergänzt noch „maybe not political things“, dann lacht er. Tashi ist ein quirliger Typ. Er ist ständig aktiv, immer gut gelaunt und macht viele ironische Witze. In seinen Gedanken und Erzählungen springt er oft hin und her, was es nicht immer leicht macht, ihm zu folgen. Die wichtigen Informationen wiederholt er dafür mit einer unendlichen Geduld. Er kümmert sich gut um uns und sorgt dafür, dass alles reibungslos klappt. Auf Nachfragen nach politischen geschichtlichen Zusammenhängen erwidert er nur „ah! thats another topic, lets not talk about this now“ und lacht sein schelmisches Lachen.

Lhasa und Umgebung

Lhasa ist die Hauptstadt Tibets. Sie existiert mindestens seit dem im 7.Jh und war damals der Regierungssitz des tibetischen Königs Songtsen Gampo. Obwohl die Stadt vermutlich älter ist, beginnt hier die Geschichtsschreibung in Tibet. Der Name Lhasa kann mit „Heilige Stadt“ übersetzt werden. Die wichtigsten Gebäude sind der Jokhang Tempel, und der Potala Palast, Sitz der tibetischen Regierung und ehemals die Residenz des Dalai Lamas. Die Stadt ist in Zirkeln aufgebaut, innerhalb derer sich seit jeher der Alltag der Menschen abspielte. Der äußere Zirkel, auf dem sich der Potala befindet, ist etwa 2-3 km vom Zentrum entfernt. Zum Beten suchen die Menschen den mittleren Zirkel um die Barkhor Straße auf. Hier befindet sich das ehemalige Zentrum Lhasa’s. Die Barkhor Straße ist die älteste Straße Lhasas und heiliger Pilgerring, der innerste Zirkel der um den Jokhang Tempel verläuft. Lhasa liegt in einem Hochgebirgstal. Die sie umrahmenden Berge prägen, ebenso wie der Lhasa River das Stadtbild. Es ist ein Seitenarm des Yarlung River, der in einem großen Canyon verläuft und bis nach Indien zieht. Obwohl Lhasa auf 3.600 Höhenmetern liegt, ist es tagsüber bei Sonneschein noch angenehm war. Erst wenn am Abend die Sonne untergeht, kühlt es deutlich ab und die Temperaturen fallen auf etwa 0°C.

Einführung in den Buddhismus

Wir fahren zuerst einige Kilometer aus der Stadt heraus und besuchen ein buddhistisches Kloster in Nyethang. Hier erklärt uns Tashi die Grundbegriffe des Buddhismus und der tibetischen Lehren. Die 4 edlen Wahrheiten, Dukkha (Suffering), Karma, Reinkarnation, der 8-fache Pfad, Buddhas Erleuchtung, Sanskrit, Dalai Lama, … ich weiß so wenig über den Buddhismus! Als er merkt, dass wir uns für seine Ausführungen über die Philosophie und Symbolik des tibetischen Buddhismus interessieren, legt er richtig los. Es wird eine intensive Lehrstunde.

Im Eingangsbereich der Klöster hängt das Bildnis des „Lebensrads“ (Samsara). Es ist das Sinnbild des buddhistischen Glaubens und das Prinzip des Karmas. Es stellt die 6 Lebensbereiche dar, in die wir, bedingt durch unser Karma, wiedergeboren werden. Der äußere Ring stellt den Lebenszyklus dar, den wir von Geburt bis zum Tod durchlaufen. Im Zentrum sind 3 Tiere, abgebildet, die für die 3 Lebensgifte stehen. Vogel = Verlangen, Schlange = Hass und Schwein = Unwissenheit. Diese Emotionen beeinflussen unser Denken, Entscheiden und Handeln, was wiederum unser Karma und unsere Reinkarnation bestimmt. Das Übel der Welt kann auf diese basalen Emotionen zurückgeführt werden. Die gute Nachricht, es gibt einen Weg aus dem ewigen Kreis der Wiedergeburten, indem wir Erleuchtung finden und ins Nirvana gelangen.

Danach besuchen wir das Sera Kloster. Es ist ein kleines Kloster, das aber in Tibet besondere Bedeutung hat. Es ist Tsonghapa geweiht, ein großer Reformator der buddhistischen Schule. Er wurde zum wichtigsten Buddha Meister in Tibet und begründete den Orden der „Gelbmützen„. Das Kloster wurde 1419 als eine der ältesten in Tibet gebaut. Es war einst eines der größten Klöster des Gelbmützen Ordens, in dem früher etwa 6.000 Mönche lebten und ausgebildet wurden. Während der Kulturrevolution 1966 wurde das Kloster zerstört. Danach wurde das Gelände in den 80er Jahren nach dem alten Vorbild wieder aufgebaut und in den letzten Jahren erweitert. Allerdings leben hier heute nur noch 400 Mönche. Diese Zahl scheint eine Obergrenze zu sein, sagt Tashi, denn auf seine Nachfragen gebe es in allen Klöstern immer genau 400 Studenten. Auf unseren Lippen liegen viele Fragen. Aber weiter möchte Tashi auf dieses Thema nicht eingehen… „Lets not talk about Politics“.

Ein wichtiger Bestandteil der Reformen Tsonghapas ist das Studium der Mönche, das die schriftliche Lehren als Grundlage vor der Meditation gestellt hat. Denn Weisheit bzw. Wissen sei die wichtigste Grundvoraussetzung auf dem Weg zur Erleuchtung, betont Tashi. Alle Klosterschüler müssen zuerst die Sanskrit Texte lernen und verstehen. Erst wenn die Mönche das Wissen erlangt und die Prüfungen bestanden haben, gehen sie in die Meditation. Dazu ziehen sie sich oft in abgelegene Gegenden zurück, manchmal für Jahre.

Tashi ist ein geduldiger Lehrer und erklärt uns alles sehr anschaulich. Um die Bedeutung des Wissens und der Weisheit zu unterstreichen, erzählt er uns folgendes Bildnis: „Stell dir vor, du kommst in einen dunklen Raum und siehst auf dem Boden eine Schlange. Du erschrickt, viele Emotionen kommen in dir hoch. Vor Angst kannst du dich nicht rühren, du überlegst, die Schlange zu töten… Bis jemand das Licht anschaltet und du erkennst „das ist eine Kordel, keine Schlange!“. Das Licht, ist die Weisheit, die dich erkennen lässt, dass die Dinge nicht sind, für was wir sie halten.“

Diskutieren und Debattieren verfestigt das gelernte Wissen und ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Die Mönche treffen sich dazu regelmäßig im Hof des Klosters, um nach bestimmten Regeln zu debattieren. Wir dürfen einer solchen Veranstaltung als stumme Beobachter beiwohnen. Jeweils zwei oder drei Mönche stehen in Grüppchen zusammen. Einer von ihnen sitzt auf dem weißen Kies, ein anderer steht ihm gegenüber und stellt ihm herausfordernde Fragen, wobei er energische Gesten macht. Wenn er beendet hat, klatscht er die Hände zusammen, zum Zeichen, dass der andere an der Reihe ist, auf seine Frage zu antworten.

Der Jokhang Tempel und Barkhor Straße

Jede/r Tibeter:in sollte mindestens einmal im Leben nach Lhasa gepilgert sein. Die autonome Region Tibet umfasst nur noch einen Teil des historischen Reichs, das vor der Gebietsreform 1965 auch Gebiete der heutigen Provinzen Qinghai, Sichuan, Yunnan und Gansu umfasste. In diesen Provinzen leben viele Tibeter und es finden sich dort viele tibetische Traditionen und Sehenswürdigkeiten (wir haben bereits ein tibetisches Kloster in Xining, Qinghai besucht.) Die heilige Stadt Lhasa ist Ziel für buddhistische Chines:innen und interessierte Tourist:innen aus der ganzen Welt. Wir sind außerhalb der touristischen Hochsaison hier. In den Wintermonaten kommen vor allem Pilger:innen aus den Bergen und ländlichen Gegenden Tibets nach Lhasa, da ihre Arbeit auf den Feldern und mit den Herden es ihnen im Winter eher erlaubt und auch weil das Klima in Lhasa für sie im Winter angenehmer ist.

Im 7. Jh brachte eine der drei Frauen des tibetischen Königs Songtsen Gampo als Hochzeitsgeschenk die vergoldete Buddhastatue (Jowo Rinpoche) aus Indien nach Tibet. Wir besichtigen die Statue im Jokhang Tempel. Es ist das älteste lebende Abbild des Buddhas und stellt ihn als als zwölfjährigen Prinzen dar. Es dauerte etwa 100 Jahre bis er der buddhistische Glaube zur vorherrschenden Religion in Tibet verbreitete. Er vertrieb damit die einheimische Religion Bön, ein Glauben an die beseelte Natur, eher eine Art Schamanismus. Gleichzeitig wurden viele der Bön- Rituale übernommen und so entwickelte sich die einmalige tibetische Form des Buddhismus. Die Gebetsflaggen oder Juniper Weihrauchöfen, die man überall in Tibet findet, zeugen davon. Unter Songtsen Gampo wurde im 7. Jh auch die tibetische Sprache und Schrift, als eine Abwandlung des Indischen Hindi, gebildet. Dadurch wurde es später möglich, die Sanskrit Texte aus Indien zu übersetzen und zu verbreiten. Bis heute stellen diese Übersetzungen, über Tibet hinaus, eine der seltenen erhaltenen Quellen der Lehren Buddhas dar. Die heiligen Schriften sind unterteilt in die Übersetzung des Wortes Buddhas, der aus den vermeintlich kanonischen Texten besteht, und die überlieferten Worte oder Interpretationen und Kommentare indischer Meister.

Wir beobachten einige Gläubige, die auf dem Barkhor und vor dem Tempel ihre Prostration praktizieren. Dabei falten sie ihre Hände über den Kopf zusammen, senken sie zur Stirn, zur Brust, knien nieder und lassen ihren Oberkörper der Länge nach auf den Boden gleiten. Dann erheben sie sich wieder und beginnen von vorn. Diese Übungen seien dazu gedacht, sich von seinen körperlichen Sünden zu reinigen und schlechte Gewohnheiten abzulegen. Ähnlich wie Matras, oder das Ablaufen und Drehen der Gebetsmühlen (immer im Uhrzeigersinn!) Jede Methode die dir hilft, deine schlechten Gewohnheiten abzulegen und deinen Geist (zum besseren) zu verändern sei eine Form praktizierten Buddhismus. Das Ego sei die größte Quelle für Leid und schwer zu überwinden. Ich verstehe diese Übungen als eine Art Buße- und Achtsamkeitsübung zugleich und staune über die Ausdauer, die selbst Greis:innen hierbei an den Tag legen.

Als wir den Tempel und die Heiligtümer durch enge Gänge besichtigen, drängen sich zahlreiche Gläubige an uns vorbei. Stoisch gehen sie ihre Runden, verneigen sich vor den Statuen, lassen ihre Opfergaben da, meist Geldscheine oder befüllen die riesigen Butterkerzenschalen mit Ghee. Dabei murmeln sie unablässig ihre Gebete. Manchmal krabbeln sie zwischen unseren Füßen vorbei, wenn wir stehengeblieben sind, weil Tashi etwas erklären will. Ich habe mehrmals das Gefühl, sie bei ihren Gebeten zu stören. Aber falls das so ist, lassen sie es sich nicht anmerken. Wenn zu ich ihnen „Tashi Delek“ (tibetisch für „Guten Tag“, wörtlich eher „viel Glück“) sage, erwidern sie fröhlich meinen Gruß, strahlen mich an, manche halten sogar meine Hand. Der Anblick der traditionell gekleideten und zutiefst religiösen Menschen, die versunken, voller Hingabe und Unterwerfung die heiligen Stätten besuchen, ist mit nichts vergleichbar, das wir bisher gesehen haben.

Tradition und Moderne

„Der Tageslauf des Volkes wird vom Glauben diktiert. Unaufhörlich drehen sich die Gebetsmühlen, Murmeln die Gläubigen die frommen Formeln, wehen die Gebetsfahnen von den Dächern der Häuser und auf den Pässen der Berge. … der gläubigen Inbrunst, die alle ausstrahlen kann man sich kaum verschließen.“

Heinrich Harrer, 1952, Sieben Jahre in Tibet

Während unseres Aufenthalts in Tibet höre ich Heinrich Harrers Reisetagebuch „Sieben Jahre in Tibet“, das von seiner Reise und Erlebnissen in Tibet zwischen 1944 und 1951 handelt. Ich staune darüber, wie nah seine Beobachtungen noch an unsere Erlebnissen, immerhin fast 80 Jahre später, sind.

Gebetsmühlen bestehen aus Tonnen, die religiöse Texte enthalten. Die Rotation der beschrifteten Tonnen steht symbolisch für das stetige lernen. Wichtig, immer im Uhrzeigersinn drehen.

Die Menschen scheinen mir heute noch zutiefst mit ihrem Glauben den Traditionen verbunden. Es ist fast, als würden wir eine Zeitreise machen. Diese Beobachtungen bilden allerdings einen krassen Kontrast zu dem modernen Stadtbild, den Touristenmengen, Souvenir Shops und sogar Fast Food Restaurants (KFC, Pizza Hut), die es auch auf der Barkhor Straße gibt. Das hinterlässt natürlich seine Spuren und verändert die Gesellschaft. Das Problem mit dem Buddhismus heute sei, dass es eine Kluft zwischen dem Alltag der Menschen und ihrer Religion gebe, sagt Tashi. Viele Menschen kämen zwar hierher zum Beten, richteten sich aber nicht nach der buddhistischen Lebensweise. Diese habe in ihrem Alltag zunehmend weniger Platz. Kein Wunder, denke ich. Die Stadt wächst, überall wird modernisiert und gebaut.

Der Bau der Eisenbahnstrecke verbindet Lhasa seit 2006 bequem mit dem chinesischen Festland. In der Folge bevölkerten zunehmend Han- Chinesen die Region und siedelten sich vor allem in Lhasa an. In der Neustadt entstehen riesige Wohnblocks. Das alles scheint sehr schnell zu passieren. Vor unter 10 Jahren habe es nicht einmal ein flächendeckendes Abwassersystem in Lhasa gegeben. Die Toiletten haben aus Gruben neben den Häusern bestanden. Der Gestank sei kaum auszuhalten gewesen, erzählt Tashi. Im Internet lese ich, dass Investitionen der chinesischen Regierung in die Infrastruktur (Verkehr, Wasser, Energie) und das Gesundheitssystem Tibets zu einer Verbesserung des Lebensstandard, messbar vor allem an der steigenden Lebenserwartung, führten. Obwohl (oder gerade weil) Tashi nicht über politische Themen sprechen möchte, erhaschen wir im Laufe der Woche aber auch immer Ausdrücke seiner Haltung gegenüber der Autorität der chinesischen Behörden. Aber Tashi ermahnt uns vorsichtig mit unseren Fragen und Äußerungen zu sein, vor allem in der Öffentlichkeit, in Bussen z.B. seien überall Kameras.

Über den Dächern der Stadt.

Die Modernisierung der Stadt hat auch zur Folge, dass nur noch sehr wenige historische Gebäude erhalten sind. Die Häuser waren alt, heruntergekommen es gab Schäden durch Erdbeben und Kriege. Während der Kulturrevolution Chinas 1965 wurde die Stadt weitgehend zerstört. Da sich Sanierungen oft nicht lohnen oder zu aufwendig und kostspielig seien, werde häufiger neu gebaut. „Nach altem Stil“, ergänzt Tashi dann immer und ist etwas verwirrt über unsere Enttäuschung.

Es liegt wohl an unserer europäischen Mentalität. Ioannis erzählt, in Griechenland dürften archäologische Funde nicht einmal berührt werden. Es gibt ein spezielles Amt für ihren Schutz und jede Arbeit muss vorher genehmigt werden. Das Ergebnis seien zahlreiche Ruinen, eingezäunte Steinhaufen, unter denen sich kaum jemand vorstellen kann, was sie vor tausend Jahren einmal dargestellt haben sollen. China wählt offenbar einen anderen Ansatz, die Ruinen nach dem historischen Vorbild zu restaurieren, die zerstörten Teile zu ergänzen oder sie sogar ganz zu zerstören und neu zu bauen. Wir diskutieren in der Gruppe darüber aber letztlich können wir nicht sagen, ob wir einen Ansatz völlig bevorzugen würden.

Ich muss an Khiva in Usbekistan denken, eine der beliebtesten Touristenorte auf der Seidenstraße. Die Altstadt wurde mit Unterstützung der chinesischen Regierung fast komplett nachgebaut. Man hielt sich dabei getreulich an das historische Vorbild, trotzdem hat dieser artifizielle Anstrich in meinen Augen der Stadt etwas von ihrer Pracht und Bedeutsamkeit genommen. Gleichzeitig können wir nicht leugnen, dass wir uns in den hübschen, wie einem orientalischen Märchen nachempfundenen Straßen sehr wohl fühlten.

Tag 3: Potala Palast in Lhasa

Der Potala Palast wurde im 17. Jh. durch den 5. Dalai Lama erbaut. Vorher hatte auf demselben Berg eine Festung des tibetischen Königs Songtsen Gampo aus dem 7.Jh. gestanden, die durch die Mongolen Kriege jedoch zerstört wurde. Der Potala ist ein architektonisches Wunderwerk. Seine Fertigstellung dauerte fast 50 Jahre. „Die Steine wurden kilometerweit von tausenden Männern und Frauen herangeschleppt und Steinmetzen hatten ohne technische Hilfsmittel diesen gigantischen Bau aus dem Felsen herauswachsen lassen1.

Es ist dem chinesischen Prime Minister, Zhou Einlei, zu verdanken, dass der Potala Palast von den verheerenden Zerstörungen während der Kulturrevolution 1965 verschont blieb. Er war so beeindruckt von dem Palast, dass er ihn mit seinen Truppen vor dem Abriss schütze.

Vereinfacht kann man sagen dass der weiße Teil des Gebäudes die politische Ebene beinhaltet. Nur die politisch einflussreichsten, wohlhabendsten Mönche seien hier zu finden. Bis zu seiner Flucht aus Tibet 1959 war der Palast der Wintersitz des Dalai Lamas. Der rote Teil in der oberen Mitte bildet den religiösen Bereich. Wir dürfen nur den roten Bereich besuchen, obwohl Tashi nicht glaubt, dass der Potala heute noch eine Funktion als Regierungssitz innehat.

Wir besichtigen die Gebetshallen und Grabmäler der vergangenen Dalai Lamas. Die Räume sind mit viel Prunk und Gold verziert, die Wänden und Decken sind mit buddhistischen Symbolen, Persönlichkeiten und Geschichten bemalt. Tashi erklärt eifrig über die verschiedenen Dalai Lamas, während unablässig Gläubige und Pilger:innen an uns vorbeiziehen. Nur die Körper der Dalai Lamas und Panchen Lamas, die beiden höchsten Glaubenspersonen, werden verbrannt und ihre Asche in in Grabmalen sogenannten „Stupas“ beigesetzt. Wir besichtigen einige der Stupas, die sich im Potala Palast befinden, des 5. und 6. 7. sowie des 11. 12. und 13. Dalai Lamas. Die größte und prunkvollste Stupa ist die des 13. Dalai Lama. Pilger:innen besuchen die Schreine und Grabkammern, um um die Gunst des Dalai Lamas zu bitten.

Eine Stupa ist nicht immer ein Grabmal. Diese befinden sich nur innenhalb von Tempeln. Stupas hingegen, die wir auf öffentlichen Plätzen sehen, sind meist Denkmäler zu Ehren Buddhas. Man erkennt sie an einer Buddha Statue, die sich in ihrer kleinen vorderen Öffnung befindet. Sie werden als Ort zur Mediation genutzt oder rituell im Uhrzeigersinn umrundet. Ähnliche Form und Bedeutung haben auch die Steinhaufen, die man an bestimmten stellen in den Bergen des Himalayas häufig sieht. Das Aufeinanderlegen der Steine ist eine uralte Tradition der Tibeter. Sie erinnern z.B. an Verstorbene, oder weise auf heilige Orte hin. ebenso wie die bunten Gebetsflaggen, die an Schnüren gespannt in alle Richtungen wehen.

Die Tibeter werden nach ihrem Tod nicht begraben oder verbrannt. Die Buddhisten glauben, dass der Geist oder das Karma den Körper kurz nach dem Tode verlässt und in einer anderen Gestalt wiedergeboten wird. Die leblose Hülle hat für sie keine Bedeutung. Die Toten werden zerstückelt und auf einem Feld, einem Fluss oder den Bergen den Tieren zum Fraß gegeben. Damit wird der Kreislauf zwischen Mensch und Natur wieder geschlossen. Erst als Tashi uns ein Video zeigt, das sehr eindeutig und sehr detailliert diese „Beisetzung“ zeigt, glauben wir ihm. Hunderte tibetische Bartgeier (einer der größten Greifvögel der Welt) tummeln sich auf einem Feld und warten ungeduldig darauf sich an der für sie vorbereiteten Malzeit gütlich zu tun. Übrig blieben nur die Knochen, die wiederum in mühsamer Arbeit zermahlt und in einen Fluss oder See gegeben werden. Bis vor einer Weile hätten Touristen bei solchen Zeremonien in Tibet zuschauen dürfen, es sei aber mittlerweile verboten worden.

Der zweite Teil unseres Berichts über Tibet und unserer Reise zum Mount Everest folgt in den nächsten Tagen.

  1. Heinrich Harrer, Sieben Jahre in Tibet ↩︎

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