Bukarest
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Bukarest

Von unserer Unterkunft laufen wir zu Fuß in die Innenstadt. Unser erster Eindruck ist etwas verhalten. Es sind wenig Menschen auf den Straßen unterwegs. Die Gebäude sind stark heruntergekommen. Es sitzen einige Menschen draußen vor ihren Häusern, plaudern mit den Nachbarn, verkaufen Zwetschgen am Straßenrand, warten auf den Bus oder auf nichts Bestimmtes. Im Zentrum kommen wir an einem Kanal entlang, der künstlich angelegt scheint, auch hier Menschenleere. Ist hier am Wochenende womöglich mehr los? Durch die Innenstadt zieht sich eine Art Partymeile, Restaurant und Bars mit Happy Hour Angeboten reihen sich aneinander. Es wirkt ein bisschen wie auf der Zülpicher Straße, dem Univiertel in Köln.

Die Dâmbovița führt in einem Kanal durch Bukarest

Christian hat uns für den nächsten Tag bei einer Free Walking Tour angemeldet. Wir wollen einen Überblick von der Stadt bekommen und etwas über die Geschichte lernen. Die Tour beginnt auf dem Platz der Vereinigung (Piata Uinirii). Wir befinden uns mitten auf einem überdimensionalen Monument, welches Rumäniens Diktator Nicolae Ceaușescu während der sozialistischen Ära, sich selbst zu Ehren erschaffen hat. Seit dem frühen 19. Jh war dieser Platz ein großer Marktkomplex, ein Treffpunkt auch für Händler aus Moldawien, Transsylvanien und Bulgarien. Ceaușescu wollte eine Siegesallee nach Pariser Vorbild der Champs Élysées bauen – nur größer, versteht sich (1 Meter breiter, um genau zu sein).

Piața Unirii – Platz der Vereinigung, auf dem sich kaum jemand außer der Teilnehmer:innen unserer Free Walking Tour aufhält.

Am Kopf des Boulevards ließ er einen Palast bauen mit über 5.000 Zimmern, zwei unterirdischen Atombunkern und einem geheimen Tunnelsystem. Die prunkvolle Einrichtung (1 Mio m³ Marmor, Edelholz, Gold, Kristall…) verschwenderisch, während die Bevölkerung in den 80er Jahren hungern und frieren musste. Es ist heute noch das drittgrößte Gebäude der Welt. Um das Megaprojekt zu realisieren, musste das Stadtzentrum weichen. Viele historische Häuser, Kirchen und Synagogen wurden abgerissen. Zigtausende Menschen, die hier lebten, arbeiteten, zur Kirche gingen wurden ungefragt umgesiedelt und enteignet. Als sich Widerstand gegen die Regierung und ihr Vorhaben bildete, kam man auf die irrwitzige Idee Kirchen (und später ganze Wohnblocks inklusive der darin befindlichen Menschen!) einfach als Ganzes zu versetzen. Hierzu entwarf der Ingenieur Eugeniu Iordachescu eine Konstruktion auf Schienen, um die Gebäude mehrere hundert Meter außerhalb der Bebauungszone zu versetzen. und damit vor der Zerstörung zu bewahren. Mit Spott und Zynismus referiert unser Guide, erzählt aber auch persönliche Anekdoten, bei denen uns weniger zum Lachen zumute ist. Schlimmer noch, als ihren Besitz und ihr Zuhause verloren zu haben, scheint die Tatsache zu sein, dass man den Menschen mit der Zerstörung einen Teil ihrer Geschichte nahm.

Der Parlamentspalast am Kopfe des langen Boulevards Unirii

Nach der Revolution vom Dezember 1989 wurde Der „Boulevard des Sieges des Sozialismus“ umbenannt in „Boulevard der Vereinigung“. Es ist nur ein Eindruck während unseres kurzen Aufenthaltes, aber hier scheint niemand zusammen zu kommen, der Boulevard und Platz der Vereinigung mit seinem riesigen Springbrunnen bis hin zum Parlamentspalast wirken verlassen und anonym. Dagegen konzentriert sich das Leben auf den nördlich gelegenen Teil der Altstadt, in dem noch einige wenige historische Gebäude erhalten geblieben sind. Irgendwie fehlt dem modernen Stadtzentrum etwas an Charme und Authentizität.

Die Dezember Revolution von 1989 gilt als die blutigste im Rahmen des politischen Wandels vieler Länder im Osten Europas zu dieser Zeit. Einige der dafür Verantwortlichen bekleideten nach der Revolution wieder hohe politische Ämter. „Die Revolution, die nichts verändert hat“, fasst unser Guide Julian zusammen. Vieles bleibt bis heute unaufgearbeitet, viele Fragen unbeantwortet. Alte Seilschaften der kommunistischen Partei, die unmittelbar wieder die Führung im Land übernahmen und die anhaltende Korruption scheinen der Demokratie in Rumänien bis heute im Weg zu stehen.

Personenkult, der Wunsch nach einem gerechten Führer. Es ist kein Zufall, dass das Gesicht „Vlad des Pfählers“ 2017 im Rahmen einer Demonstration gegen Korruption und Willkür der Politiker auftauchte. Vlad der Pfähler sei extrem brutal gewesen, selbst für mittelalterliche Verhältnisse. Aber er gilt auch als ein gerechter Herrscher, Ächter von Korruption der sein Volk von der Unterdrückung durch die Osmanen befreit habe.

Vlad III. DrăculeaWalachischer Nationalheld oder sadistischer Tyrann?

Vlad III. Drăculea (*1431 †1477) Fürst der Walachei, wurde vor allem bekannt für seine grausamen Folter- und Hinrichtungsmethoden. Feldherr im Kampf gegen die Ausbreitung der Osmanen auf dem Balkan. Gegner von Bestechung, der ebenso hart gegen korrupte Beamte vorging. Er soll ca. 80.000 Menschen hingerichtet haben. Die Pfählung war dabei seine bevorzugte Methode. Der Beiname Dracula inspirierte den irischen Schriftsteller Bram Stober zu dessen Romanfigur. Das Image des Grafen Dracula wird heute geschickt für touristische Zwecke ausgeschlachtet. Der „Fürst der Finsternis“ lockt mehr Touristen zum Schloss Brat als es die schöne Natur Siebenbürgen vermag.

„Was haltet ihr davon?“ fragt Julian uns herausfordernd, aber niemand weiß so richtig etwas darauf zu erwidern. Ich denke noch läge darüber nach, dass sich die Wahrheit oft nicht in Gut oder Schlecht, Richtig oder Falsch einordnen lässt. Dass die Realität komplex ist und im Auge des Betrachters liegt. Über 30 Jahre nach der Revolution scheint es, als suche Bukarest noch immer seine Identität, zwischen der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und dem Vergessen. Vielleicht ein Vorgeschmack dessen, was uns auf der weiteren Reise durch Zentralasien erwarten wird…

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