On a Budget
On a Budget

On a Budget

Die Sonne ging grad auf als wir im Hafen von Kuryk in Kasachstan von Bord gingen. Nach einer halbherzigen Gepäckkontrolle, wurden wir durch den Sicherheitsbereich auf einen Parkplatz vor dem Terminal entlassen. Die nächste Stadt Aktau war noch 90 Kilometer entfernt. Dazwischen lag nur die weite kasachische Steppe. Ein Grenzpolizist in Armeeuniform bot an, uns ein Taxi zu rufen. Es würde 60 Dollar kosten, schätzte er. Es lag auf der Hand dass der Preis Wucher war und wir waren wenig geneigt die Summe zu zahlen. Wir hätten wahrscheinlich versucht zu handeln, waren uns der Alternativlosigkeit unserer Situation und unserer schlechten Verhandlungsposition nur zu bewusst. Edward nahm uns die Entscheidung ab. „No way!“ Er fluchte laut und energisch. Es fing an zu regnen, wir stellten uns vor der verschlossenen Wartehalle für Passagiere unter. Uns fröstelte, die Stimmung war im Keller. Ich vertraute einfach darauf, dass Edward und Julianne eine Idee hätten, hatte aber selbst keine Ahnung was wir machen würden – und vor allem, wie lange es dauern würde. Ihr Plan war, einen der Trucks anzuhalten, sobald diese die Zollkontrolle passiert hätten. 

Müde und planlos, mitten im Nirgendwo.

Ein Auto kam vom Parkplatz vor dem Hafenterminal, das wir vorhin verlassen hatten, angebraust. Edward winkte den Fahrer heran und dieser bremste scharf. Wir schafften es, Dank Christian, der ein paar russische Vokabeln wusste und mit Händen und Füßen ihm zu erklären, dass wir nach Aktau wollten. Unvermittelt fordert er uns alle auf, einzusteigen. Edward fragt ihn noch, ob er Geld haben wolle aber er winkte ab. Die Freundlichkeit und Selbstverständlichkeiten mit der sich der Mann unserem Problem annahm, verblüffte mich. Ich stellte mir vor, dass er grad seine Nachtschicht beendet hatte und nach Hause wollte. Was bewegte ihn dazu, eine Gruppe von Fremden am Straßenrand aufzugabeln und uns eine halbe Stunde in die nächste Stadt zu chauffieren? Wir saßen aneinander gedrängt in Oskars Wagen und ich verspürte ein großes Freiheitsgefühl. Aus dem Fenster betrachteten wir die kasachische Steppe, am Straßenrand tauchte ein Kamel auf. Der Soundtrack, ein orientalisch klingender Techno Remix, war perfekt.

Natürlich gehe es ihm auch darum Geld zu sparen, erklärt Edward, aber hinter dem Hitchhiking stecke in erster Linie kein monetärer Gedanke. Die Philosophie liege in den Begegnungen und Erfahrungen, die einem auf die kommerzielle Weise verschlossen blieben. Die Gastfreundschaft eines Fremden anzunehmen, kann für beide Seiten eine Bereicherung sein. Es wäre gleichermaßen unhöflich, jemandem für seine Gastfreundlichkeit Geld anzubieten.

Edward ist passionierter Hitchhiker und Couchsurfer. Er verbringt seine gesamte freie Zeit damit zu reisen und unternimmt alle seine Reisen auf diese Weise. Nach einem Frühstück in einem Café in Aktau wollten Edward und Julianne weiter. Ihr Ziel war, noch am selben Tag Usbekistan zu erreichen. Neben dem Spirit des Unterwegsseins verfolgen sie nämlich noch einen anderen ganz ambitionierten Plan. Edward erzählte, dass er bereits an die 60 Länder bereist hat und einmal jedes Land auf der Erde besucht haben will. Zuerst erschien es mir irgendwie unromantisch, fast widersprüchlich, wie pragmatisch und nüchtern er die Länder auf einer Liste abzuhaken schien. Aber, wenn ich darüber nachdachte, braucht jede Reise am Ende ein Ziel. Edwards Ziel ist die Welt. Was ist unser Ziel?

Wir blieben erstmal in Aktau. Nach der langen Überfahrt und vor der nächsten langen Zugreise, die uns bevorstand, wollten wir ein paar Tage entspannen. Wir suchten uns ein hübsches, komfortables Hotel am Strand, mit Pool, Sauna und einem herrlich weichen und großen Bett. Das erste Mal seit Wochen ging ich wieder Schwimmen. Es überstieg ein wenig unser Budget aber das ging in Ordnung. Draußen stürmte es aber für den nächsten Tag war Sonnenschein angesagt. 

Im Laufe der Reisen, die wir bisher gemeinsam gemacht haben, haben wir uns auf ein Maß an Abwechslung eingependelt, zwischen dem Abenteuer, unter einfachen Bedingungen zu reisen und zu leben und dem Komfort, uns immer wieder Verschnaufpausen und einen gewissen Luxus zu leisten. Uns aus unserer Komfortzone heraus zu bewegen, bringt uns den Menschen näher – und in gewisser Weise auch uns selbst. Durch jede Erfahrung die wir machen, wenn uns die Freundlichkeit eines Menschen überrascht, die glückliche Erfahrung des Hitchhikings, das kasachische Ehepaar, das im Zug mit uns sein Abendessen teilte (wir kommen später darauf), auch die beschwerlichen Momente, Situationen, die uns erschüttern oder in denen wir uns ärgern… in allen Momenten erfahren wir auch etwas über uns selbst. Und die Erfahrungen verändern uns gleichermaßen. 

Dann wieder gibt es Tage, an denen wir es genießen in einem bequemen Bett zu schlafen, in einem Café einen Cappuccino und ein kontinentales Frühstück zu bestellen, oder uns einfach bequem und schnell in einem Taxi von A nach B Bringen zu lassen, vielleicht sogar darauf verzichtend, eine hitzige Diskussion über den Preis zu führen. Es hilft gegen das manchmal aufkommende Heimweh und das sich Fremdfühlen. Vor allem aber nutzen wir die Ruhephasen, um das Erlebte zu verarbeiten. Wenn sich ein Abenteuer an das nächste reiht, fällt es einem sonst irgendwann schwer, sie wertzuschätzen.

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