Tbilisi – zwischen Tradition und Moderne
Tbilisi – zwischen Tradition und Moderne

Tbilisi – zwischen Tradition und Moderne

Unser Airbnb Apartment befindet sich im historischen Teil der Stadt aber auf der linken Seite des Flusses gegenüber des Zentrums der Altstadt. Direkt um die Ecke gelangt man auf die Aghmashenebeli Avenue auf der viele Cafés, Restaurants liegen und auch einige Barbershops- was die Jungs sehr erfreut. Die Architektur ist vor allem geprägt durch die vielen Jugendstil Häuser aus dem 19. Jh. Die Straße führt bis zum Saarbrückenplatz und der Saarbrückenbrücke. Sie gehörten zu dem ehemaligen Viertel „Neu-Tiflis“, wo eine große deutsche Gemeinde lebte. Nach 1941 wurden die Deutschen allerdings umgesiedelt nach Kasachstan oder Sibirien. Seit 1975 gibt es wieder eine Städtepartnerschaft zwischen Tiflis und Saarbrücken.

Mein erster Spaziergang durch die Stadt. Ich schlendere über die Brücke auf die gegenüberliegende Seite der Altstadt und folge dem Fluss weiter Richtung Zentrum. Auf der Rustavali Avenue komme ich an dem Parlamentsgebäude, der Oper und anderen bedeutenden Bauwerken vorbei. Die Straße führt schließlich zum Platz der Freiheit. Ab dort werden die eher schachbrettartig und großzügiger angelegten Straßen durch kleine gewundene Straßen und Gassen der Altstadt abgelöst. Unterwegs spüre ich die enorme Vielfalt an Kulturen und die verschiedenen historischen Einflüsse, die die Stadt im Laufe der Jahrhunderte in sich aufgenommen hat. Jugendstil Architektur, Sozialistischer Klassizismus bis zu Sowjetischen Plattenbau, daneben arabisch-maurische Fassaden und wiederum futuristische, silberne Konstruktionen. Viele Fassaden sind bröckelig, einige Gebäude sind gut erhalten oder restauriert. Die Stadt hat einen sehr vielschichtigen Charakter und es ist spannend sie zu erkunden.

Tbilisi hat sich auch ihre Traditionen bewahrt. Im historischen Stadtzentrum finden sich die traditionellen Bäder. Sie wurden erstmals im 5. Jahrhundert während der byzantinischen Herrschaft über die Region erwähnt und besitzen eine beeindruckende Architektur. Sie bestehen aus Backsteinen und sind mit Mosaik in orientalischen Mustern verzierten Kuppeln gekrönt. Sie sind bis heute in Betrieb. Einige Bäder werden hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich von Touristen besucht, andere sind öffentlich. Ein traditionelles Bad besteht aus einem Saunagang, einer Waschung und optional einer Massage. Anschließend kann man bis zu einer Stunde in dem heißen Schwefelwasser baden. Es erinnert ein bisschen an das türkische Hamam. Die Preise für so eine Zeremonie sind, je nachdem, welches Bad man wählt sehr unterschiedlich. Ich besuche eines der Bäder, um mir einen Termin geben zu lassen. Die Frau am Empfang ist so ruppig und genervt, dass ich mich im letzten Moment anders entscheide.

Das Denkmal des Heiligen St. Georg, der den Drachen tötet auf dem Friedensplatz.

St. Georg er ist der christliche Schutzpatron Georgiens. Unsere einfältige Annahme, der Name „Georgien“ leite sich vom Namen des Heiligen ab, wird aber durch unseren Tourguide korrigiert. Die Georgier nennen sich selbst Kartveli und ihr Land Sakartvelo „Land der Kartvelen“, deren Geschichte bis in das 1 Jahrtausend v. Chr. zurückgeht.

ALL SUCH WALLS FALL
Das Geschenk des Deutschen Volkes an das Georgische Volk. Dieses Fragment der Berliner Mauer wurde dem Ministerpräsidenten von Georgien am 16. Juni 2017 anlässlich des offiziellen Besuchs der BRD als Symbol der Freundschaft zwischen Georgien und Deutschland überreicht.
Tbilisi hat ein Herz für Straßenhunde. Die Kellnerin erzählt mir, dass dieser kleine Freund jeden Morgen vor dem Café auf sie wartet. Er verbirgt den ganzen Tag hier. Sie stellt ihm regelmäßig eine Schüssel Wasser vor die Tür. Sicherlich verlieren einige Gäste ab und zu ein Stück ihres Sandwichs. Abends, wenn die Kellnerin schließen will, verlässt er unaufgefordert das Café, bis man sich am nächsten Morgen wiedersieht.
Das Denkmal des Stadtgründers König Wachtang I. thront am Steilufer des Flusses Kura und unterhalb der orthodoxen Kirche aus dem 13. Jh.

Mit der Seilbahnfahrt fahren wir hoch zur Nariqala-Festung und laufen dann zu Fuß wieder Downhill. Irgendwann kommen wir in ein alternatives Viertel, in dem wir in einige Bars einkehren, einige der unendlich vielen Craft-Biere der Stadt (und ein paar Cocktails) probieren. Leider können wir an diesem Montagabend nicht noch tiefer in das berühmt-berüchtigte Nachtleben der Stadt eintauchen.

Es gibt zwei Metro Linien. Eine in Nord-Süd und eine kürzere in Ost-West-Achse. Sie ist ein Erbe der Sowjetunion. Beim ersten Mal muss ich zweimal um das Gebäude herumlaufen, bis ich erkenne, wo sich hinter dem Wellblechzaun der Eingang zur Station befindet. Eine Rolltreppe geht 40 Meter steil bergab in die Erde bis man zu den Gleisen kommt.

Zwei Gebiete Georgiens (Südossetien und Abchasien) sind seit 2008 faktisch unter russischer Besatzung. Die Bedrohung durch Russland, die (West-) Europa seit Beginn des Ukrainekriegs deutlich ins Bewusstsein gerückt ist, ist in Georgien seit langem Realität. Die wenigen Georgier, mit denen wir ins Gespräch kommen (Tourguides im Wesentlichen) haben in Bezug auf den Ukraine Krieg eine klare Position. Auch an unzähligen Grafitis und gehissten EU-Flaggen in Bussen, Autos, Restaurants bis in kleinen Geschäften wird deutlich: Georgien soll Teil der EU werden, um sich gegen den „Terroristen“ Russland verteidigen zu können. Obwohl viele Russisch verstehen, grenzt es fast an eine Unhöflichkeit, vor allem jüngere Menschen auf Russisch anzusprechen. Englisch ist für uns ohnehin bequemer. Die politische Führung scheint zurückhaltender in Bezug auf die Abgrenzung zu Russland. Georgiens Status der EU Mitgliedschaft stagniert. Dabei ist der Wunsch der Bevölkerung, Teil der EU und der NATO zu sein, sehr deutlich spürbar.

Eine ganz neu angebotene Street Art Tour führt uns in einen entlegenen Stadtteil in einem Außenbezirk von Tbilisi genannt „the concrete jungle“. Betonhochhäuser der Sowjetzeit prägen das Stadtbild, das entsprechend unbeliebt ist. Erst vor ein paar Jahren wurde ein Stadtplanungsprojekt umgesetzt, zur Begrünung des kargen und heruntergekommenen Districts. Künstler wurden unterstützt die Plattenbauten mit großen Murals zu verschönern. Alles geschah in enger Absprache und jeweils nur unter Zustimmung der Anwohner. Die Werke zeigen historische Persönlichkeiten (z.B. die georgische Schachweltmeisterin oder Anne Franck) und setzen sich mit sozialpolitische Themen auseinander, wie das „Saint Girl“ eine feministische Anlehnung an die Figur des hl. St. Georg oder das Bild von der Begrüßung oder Verabschiedung des Soldaten (der Künstler lässt dies bewusst offen). Die Werke wurden aber auch inspiriert durch die Menschen aus dem Viertel, so z.B. das Bild von dem jungen Seifenblasen-Kicker.

Zum Abschluss unseres Besuchs in Tbilisi gönnen wir uns noch eine geführte Tour in eine nahegelegene Weinregion. Wir können Georgien nicht verlassen, ohne vorher die einzigartigen und ältesten Weine der Welt kennengelernt zu haben. Wir sind nach Sighnaghi unterwegs, etwa 2 Stunden östlich von Tbilisi in der Region Kachetien und kehren zu einer Weinprobe, also einem gepflegten Daydrinking, in eine Winzerei ein. Von den angebotenen Weinen bis hin zu den kleinen regionalen Köstlichkeiten, Brot, Käse, Khachapuri, getrocknete Früchte und Süßigkeiten… ein absoluter Genuss!

Der Weinbau in Georgien hat eine lange Tradition. Jüngste Funde der Weinherstellung in einem georgischen Dorf gehen auf die Zeit um 6.000 v. Chr. zurück. Sie sind damit die frühesten bekannten Winzer der Welt und produzierten bereits Wein in großem Stil, als die prähistorischen Menschen noch auf Stein- und Knochenwerkzeuge angewiesen waren. Es gibt einige besondere Rebsorten, die nur in Georgien verwendet werden. Wein ist eines der größten Exportprodukte Georgiens. Es gibt mehrere große Weinregionen mit traditionellen und modernen Winzerbetrieben. Typischerweise produzieren viele Familien aber auch ihre eigenen Weine.

Wir besuchen Okro’s Weingut. Der Familienbetrieb produziert Weine auf organisch-biologische Produktion nach traditionellen überlieferten Verfahren, in Amphoren, sog. Quevris. Durch die einseitige sowjetische Massenproduktion, die auf Verfahren in Stahltanks ausgelegt war, war diese Handwerkskunst der georgischen Weinherstellung fast ausgestorben. Das besondere an diesem Verfahren ist, dass die Quevris mitsamt der zerquetschten Trauben, Schalen, Kernen und Stängeln gefüllt, verschlossen und im Boden vergraben werden. Hier vergären sie unter annähernd konstanten Temperaturen über Monate und reifen anschließend. Dieses Verfahren gibt den Weinen eine ganz besondere Farbe und zum Teil auch eine leichte Trübung. Weißweine haben einen typischen Amber- oder Bernsteinton. Roséweine erinnern eher an unsere Rotweine. Anstatt „Rotwein“ werden die Weine hier übrigens „schwarz“ bezeichnet.

Die Maischereste werden nach dem Abpressen meist noch ein zweites Mal verwertet für die Produktion des Bekannten Tresterbrands ChaCha.

Von der Winzerin Jane lernen wir noch etwas Besonderes. Sie beschreibt den Geschmack ihrer Weine gern mit Erinnerungen, Geschichten oder Stimmungen. So schmecken ihre Weine für sie zum Beispiel nach glücklichen Kindheitstagen im Sommer auf dem Weingut oder nach einer Kriegerin, die von einer Schlacht zurückkehrt, müde und schwer aber stark und weiblich.

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