Reise durch Zentralasien – ein Blick zurück
Reise durch Zentralasien – ein Blick zurück

Reise durch Zentralasien – ein Blick zurück

Zentralasien und seine Länder waren mir bislang völlig unbekannt. Dabei liegt hier – nicht bloß im geographischen Sinn – das Zentrum der Welt. Der Austausch von Waren, Ideen, Wissen und Technologien zwischen dem Orient und Okzident entlang der Seidenstraße hatte seit der Antike einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung der Zivilisationen und Kulturen auf der ganzen Welt. Nicht zuletzt haben sich die großen Weltreligionen entlang der Seidenstraße verbreitet. Die Bücher von den Historikern Ewald Frie und Peter Frankopan, die ich auf den Zugfahrten als Audiobooks höre, heben Zentralasiens Bedeutung für das Weltgeschehen hervor, die uns durch unsere eurozentrische Sichtweise der Geschichte kaum bekannt ist. (Die Geschichte der Welt: Neu erzählt von Ewald Frie, 2019 C.H. Beck; Peter Frankophon Licht aus dem Osten: Eine neue Geschichte der Welt, (Originaltitel The Silk Roads) 2016 rohwolt).

Aus dem Heimatmuseum im Palast von Kokand: Eine Tafel über die verschiedenen Routen der Seidenstraße, die den Orient und Okzident seit dem 2. Jh miteinander verbanden.

Das erste Buch aber, das meine Neugier auf Zentralasien weckte, als ich es vor vielen Monaten las, war eine Abenteuer Geschichte von Kate Harris. Sie ist 2018 zehn Monate lang mit ihrem Fahrrad die Seidenstraße entlanggefahren und hat ein Buch über ihre Erlebnisse verfasst. In Lands of lost borders schreibt sie:

Reisen offenbart weniger die Wahrheit über einen Ort sondern deutet mehr darauf hin, wie kompliziert die Welt ist“.

Kate Harris

Später las ich das Buch Sowjetistan von Erika Fatland, die sich auf ihrer Reise durch die „Stans“ mit dem Erbe und der Entwicklung der Staaten nach der Sowjetunion auseinandersetzt. Die Grenzen, wie wir sie heute auf der Karte finden, existieren es erst seit der Sowjetzeit. Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan sind Junge Staaten. Seit ihrer Unabhängigkeit in den frühen 90er Jahren sind sie bestrebt eine eigene nationale Identität zu finden. Erika Fatland beschreibt in ihrem Buch Begegnungen mit Menschen und Anekdoten ihrer Reise. Anhand dieser Alltagsgeschichten erklärt sie geschichtliche und politische Zusammenhänge. (Erika Fatland, Sowjetistan, 2017 Suhrkamp).

Je mehr ich mich unterwegs mit den Ländern beschäftige, desto mehr bekomme ich eine Idee, was Kate Harris gemeint hat. Ich bewundere diese Frauen, die ihre Reisen zu einem Projekt machten, die Welt besser kennen- und verstehen zu lernen.

Der glücklichste Zufalls unseres Lebens, das Land in dem wir geboren werden

In unserem Fall bedeutet es die Freiheit durch unseren Deutschen Pass einfach und sicher in fast alle Länder der Welt reisen zu können. Wir, die freiwillig auf einer Route unterwegs sind, die viele Menschen in entgegengesetzter Richtung auf ihrer Flucht aus Afghanistan genommen haben. Wenn ich an die aktuellen politischen Ereignisse in der Welt denke, denke ich auch, wie absurd Grenzen sind, wie willkürlich sie oft gezogen wurden, wie sie Konflikte auslösen können und wie oft sie im Gegensatz stehen zu der Realität der Menschen, die innerhalb ihrer leben oder durch sie getrennt werden. Wie sie aus Nachbarn Fremde oder sogar Feinde machen können.

„Das Schwierigste beim Reisen und im Leben im Allgemeinen ist, aufgeschlossen zu bleiben und ein verschlossener Geist ist die starrste Grenze, die man sich vorstellen kann.“ Auch dieses Zitat stammt von Kate Harris, ich empfehle ihr Buch sehr!

https://rolfpotts.com/kate-harris-book-qa/

Wenn ich an Zentralasien denke, dann fallen mir die unendlich weiten Landschaften ein, die Steppen und gigantischen Berge, die Städte aus 1001 Nacht. Und natürlich die Menschen, ihre offene, warme Gastfreundschaft, ihre Verbundenheit mit der Natur und den Traditionen.

So wie auf der Seidenstraße einst das Wissen und die Weltanschauung der Menschen geprägt wurden, möchte ich auch unsere Reise als ein Vehikel betrachten, durch das ich meine Bubble verlasse, die ich mir im Alltag eingerichtet habe. Es geht dabei nicht allein um die schönen fremden Länder oder wie weit ich mich von zu Hause entferne (übrigens haben wir inzwischen über 15.000 km zurückgelegt!). Es fällt mir beim Reisen einfach leichter, mir die Zeit zu nehmen, Begegnung mit dem Fremden zu suchen, zu verstehen versuchen und (hoffentlich) auch ein bisschen die inneren Grenzen zu überwinden. Zentralasien hat mir in vielen Momenten die Augen und das Herz geöffnet.

Ihr müsst diesen Eintrag nicht bis zum Ende lesen. Aber wer sich dafür interessiert, lade ich herzlich ein, noch ein bisschen weiter zurückzublicken. Im Folgenden habe ich versucht, so kurz und gut ich konnte, die Geschichte Zentralasiens zusammenzufassen.

Die Geschichte Zentralasiens

Antike: In Baktrien, dem fruchtbaren Land zwischen dem Hindukusch und dem Fluss Amurdarja (den die Griechen später Oxus nannten, weshalb die Region als Transoxanien bekannt wurde) siedelten vor tausenden Jahren die ersten Menschen an, die Ackerbau betrieben.

Die Eroberungen Baktriens durch Alexander den Großen im 4. Jahrhundert v. Chr. brachten Zentralasien unter hellenistischen Einfluss.

Um 600 v. Chr. bis 600 n.Chr. bildeten sich mehrere Persische Großreiche aus (Reich der Achämide, Sogdien und Reich der Sassaniden), die die Kultur und Sprachen z.B. in Tadschikistan und Teilen Usbekistans bis heute stark prägten.

In den Steppen im Norden, wo aufgrund der kargen Bedingungen Ackerbau nicht möglich war, betrieben Menschen Viehzucht. Um geeignete Weideflächen zu finden, zogen sie mit ihren Herden umher und pflegten einen nomadischen Lebensstil. Es bildeten sich Reiternomaden, die auch kriegerisch sehr aktiv waren. Nordasiatische Turkvölker prägten in weiten Teilen die Kultur und Sprache. (Zu der Familie der Turksprachen gehören neben Kasachisch und Kirgisisch auch Türkisch und Uigurisch.)

Die Hunnen, vermutlich eher ein Sammelbegriff für verschiedene Stämme kriegerischer, nomadischer Reitervölker, durchstreiften in der Spätantike weite Teile Zentralasiens und Europas. Unter dem berühmtesten Anführer, Attila, waren sie im 5. Jahrhundert kurzzeitig zu einer Großmacht organisiert. Ihre verheerenden Streifzüge und Unterwerfungen trugen maßgeblich zur Völkerwanderung ab 375 n.Chr. in Europa bei.

„Das historische Thema Zentralasiens ist der Kulturkontakt, bedingt durch Fern- und Lokalhandel und durch die ständig sich verschiebende Grenze zwischen sesshaften Ackerbauern und Viehzüchtern, Dorf- und Stadtbewohnern einerseits und Nomaden andererseits. Die Kontakte und Konflikte, die sich an der Grenze und über sie hinweg abspielten, sind Gegenstand der Geschichte Zentralasiens.“

Ewald Frie – Die Geschichte der Welt: neu erzählt von Ewald Frie
Die Seidenstraße

Durch die zentrale Lage zwischen Orient und Okzident zeichnete sich die Region früh durch intensiven Handel und Austausch aus. Im 2. Jh n.Chr. erlebte die Region ihre erste Blütezeit. Vom 6.-8. Jh organisierten die Sogder (ein ostiranisches Volk) den Handel auf der Seidenstraße. In Städten wie Bukhara etablierten sie Umschlagplätze für Waren und führten eine eigene Währung ein. Sie kontrollierten damals das größte Handelsimperium Asiens. Entlang der Seidenstraße vom Römischen Reich bis nach China florierte ein reger Handel und Austausch. Dies weckte das Interesse verschiedener Eroberer und Großmächte, die der Reichtum der Region lockte.

Islamische Eroberungen: Mit der Ausbreitung des Islams im 7. und 8. Jahrhundert wurde Zentralasien zu einem Zentrum der islamischen Zivilisation. Es brachte einflussreiche Gelehrte hervor, darunter Avicenna (Ibn Sina) und Al-Farabi, die wichtige Beiträge zu verschiedenen Bereichen, darunter Philosophie und Medizin, leisteten.


Das Mongolenreich: Dschingis Khan und seine Nachfolger gründeten im 13. Jahrhundert das Mongolenreich, das sich zum größten Landreich der Geschichte entwickelte. Zentralasien wurde im Zuge des Mongolensturms brutal unterworfen, viele Städte wie Khiva, Bukhara oder Samarkand wurden komplett zerstört. Die Mongolen bauten aber die Handelsrouten der Seidenstraße weiter aus und sicherten ihn, was den Verkehr von Menschen, Waren und Ideen in ganz Eurasien erleichterte.


Timur (Tamerlane): Ein türkisch-mongolischer Eroberer aus Zentralasien, gründete das Timuridenreich im 14/15. Jahrhundert. Sein Reich belebte kurzzeitig die persische Kultur wieder, in der es zu einer erneuten Blüte von Kunst, Kultur und Wissenschaft kam. Darauf folgte eine Zersplitterung und Zerfall der Region, sowie das Ende der Seidenstraße mit der Entdeckung und Etablierung des Seewegs von Europa nach Indien.

Im 16. Jh expandierte das Russische Zarenreich und nahm weite Teile Zentralasiens ein, bis es im 19. Jahrhundert zu einem Schlachtfeld des imperialen Wettbewerbs zwischen Russland und dem britischen Empire wurde. Großbritannien, das die russische Expansion als Bedrohung empfanden, versuchte ebenso seinen Einfuss in Zentralasien auszuweiten. „The Great Game“ wurde zum Teil auf dem Boden Afghanistans ausgetragen, eine willkürlich gezogene Grenze durch das Land sollte die Machtansprüche der beiden Länder in der Region klären.

Sowjetunion

Die russische Oktoberrevolution und Gründung der Sowjetunion 1922 hatte verheerenden Folgen für die Menschen und Natur Zentralasiens. Die Region diente als wichtige Ressourcenquellen für die Sowjetunion, insbesondere in Bezug auf Baumwolle, Erdöl und Erdgas. Dies führte zu umfangreichen Entwicklungsprojekten und Industrialisierung. Wirtschaftlich und sozial erlebte Zentralasien in der Sowjetzeit einen gewissen Fortschritt. Es gab Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Gesundheitswesen. Die Länder profitierten von der sowjetischen Planwirtschaft, aber sie wurden auch stark von Moskau abhängig. Landwirtschaftliche Kollektivierung und Industrialisierung sowie die Ausbeutung der Natur und der Ressourcen waren Merkmale dieser Zeit.

Einige wenige Denkmäler, wie diese Statue von Lenin in Chorugh, Tadschikistan erinnern noch an die Sowjetunion. Die meisten wurden seit der Unabhängigkeit entfernt.

„-Stan“ bedeutet „Land der…“ Land der Kasachen, Land der Tadschiken, der Kirgisen, usw. Die Staaten mit ihren heutigen Grenzen existieren erst seit 1936. Die Sowjets zogen damals die Grenzen und stellten alle Republiken unter die zentrale Verwaltungsmacht in Moskau. Klar waren damals alle Menschen Staatsbürger der Sowjetunion, die Amtssprache für alle war Russisch. Im Pass wurde aber zwischen Staatsbürgerschaft und Nationalität (Kasachisch, Karakalpakisch, Kirgisisch, Uigurisch, Deutsch, etc.) unterschieden und es zeigte sich, dass auch im Kommunismus nicht alle Menschen “gleich“ waren.

Im Zuge der radikalen Kollektivierung Stalins wurden Millionen Menschen Opfer von Vertreibung und Zwangsumsiedlung. So kamen viele Russen, Ukrainer, Deutsche, Juden, Tschetschenen, Koreaner, etc. die sich in den neu erschlossenen Gebieten Zentralasiens niederließen oder zwangsumgesiedelt wurden. Bis heute gibt es eine Vielzahl von ethnischen Enklaven, Minderheiten und autonomen Gebiete innerhalb der Stans.

Gleichzeitig ging viel der kulturellen Vielfalt in Zentralasien verloren. Nomaden wurden gezwungen ihren Lebensstil aufzugeben und sesshaft zu werden um in den Kolchosen zu arbeiten. Die Ausübung der Religion und Traditionen, die eigenen Sprachen wurden unterdrückt. Vor allem das religiöse Gedächtnis wurde fast vollständig gelöscht, da das Regime vor allem den Islam als Bedrohung seiner Machtposition sah.

Mit dem Fall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre wurden die „Stans“ zu unabhängigen Staaten. In vielen Fällen jedoch, wir haben es bereits in Rumänien erlebt, erhoben sich die neuen Machthaber aus dem alten Parteiregime und setzten die sowjetischen Traditionen fort. Es folgten Jahre großer wirtschaftlicher Krisen und Unruhen. Der Holländer, den wir in seinem Café in Almaty kennenlernen sagt, es sei ein totales Chaos gewesen und gefährliche Zeiten, als er Ende der 90er das erste Mal nach Kasachstan kam. Trotzdem ist er geblieben, denn etwas vergleichbares habe er nie wieder gefunden.

In den folgenden Generationen versuchte jeder Staat seine nationale Identität zu finden. Dazu gehört die Verständigung auf eine gemeinsame Geschichte und vor allem eine gemeinsame Sprache, mit der man sich von seinen Nachbarn abgrenzt.

Ehtnische Vielfalt

Was die ethnische Vielfalt angeht kann Zentralasien als „wahrer Schmelztiegel oder „wunderbare Melange“ gelten (Dagmar Schreiber, 2023, Trescher Reiseführer Zentralasien). Es lassen sich zwei große Einflüsse unterscheiden, die Indo-iranischen Volksgruppen und die Turkvölker. Darunter gibt es die beschriebenen Ethnien, die über die Zeit ansiedelten oder zwangsumgesiedelt wurden. Nach dem Fall der Sowjetunion wanderten viele aus. Heute kommen Arbeitsmigrant:innen und neuerdings auch russische Fahnenflüchtige hinzu.

Über 120 verschiedene ethnische Gruppen leben unter den knapp 20 Millionen Einwohnern in Kasachstan. Im Staatlichen Museum der Republik Kasachstan in Almaty wird gezeigt, dass Kasachstan sich durch seine multinationale Einheit identifiziert. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Realität nicht immer friedlich und harmonisch aussah.

Uns fallen die Unterschiede der Bevölkerungsgruppen vor allem durch die vielfältigen Sprachen auf. Z.B. wird in Bukhara und Samarkand überwiegend tadschikisch gesprochen (Tadschikisch gehört zu den Persischen Sprachen, während Usbekisch eine Turksprache ist), obwohl die Städte seit der Grenzziehung zu Usbekistan gehören. Im Westen Usbekistans befindet sich zudem die autonome Region Karakalpakstan. In Osch im Ferghanatal in Kirgistan lebt eine usbekische Volksgruppe. 2010 ist es hier zu großen gewaltsamen Ausschreitungen gegen die usbekische Minderheit gekommen. In der autonomen Region Pamir in Tadschikistan leben wiederum überwiegend Kirgisen, die derzeit aufgrund der anhaltenden Konflikte zwischen den beiden Ländern nicht mehr nach Kirgistan reisen dürfen. Schilder, die wir sehen werden häufig in drei oder manchmal vier Sprachen ausgewiesen. Zur allgemeinen Verständigung wird nach wie vor Russisch herangezogen. Das kyrillische Alphabet ist ebenfalls noch sehr verbreitet.

Zentralasien ist im Laufe der Geschichte ein Schmelztiegel der Kulturen und Ethnien geworden. Es war Zeuge des Aufstiegs und Niedergangs vieler Reiche. Der Austausch verschiedener Kulturen und Ideen, ebenso wie Einflussnahmen externer Großmächte haben die Region geprägt. Aufgrund seiner wertvollen Bodenschätze und Energieressourcen und seiner strategischen Lage spielen die Länder auch heute noch eine wichtige Rolle in der Weltpolitik. Weiterhin lassen autokratische, korrupte Regime, anhaltende innenpolitische und Grenzkonflikte sowie externe Einflussnahmen offen, in welche Richtung die Entwicklung weitergeht.

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