Die Region Swanetien liegt im Nordwesten von Georgien, am südlichen Ausläufer des Kaukasus und an der Grenze zu Russland. Von Batumi reisen wir sechs Stunden mit Minibus und Taxi nach Mestia. Von hier wollen wir vier Tage nach Ushguli wandern. Der Trail gehört zu den beliebtesten Wanderrouten Georgiens. Die Wege sind gut markiert und beschildert und auch meistens einfach erkennbar. Die vier Etappen haben eine Länge zwischen 10 und 18 km und jeweils rund 1.000 Höhenmeter aufwärts und etwas weniger abwärts.
Der erste Tag führt von Mestia aus über einen breiten Schotterweg, der nicht ganz so gut zu laufen ist. Es folgt ein steiler Anstieg von etwa 15 Minuten, danach geht es über schmale Pfade die meiste Zeit bergab. Auf dem Weg sind wenig Bäume, auch bei mäßiger Anstrengung kommen wir unter der Sonne ganz schön ins Schwitzen. Unten angekommen geht es entlang eines Flusses, den wir irgendwann über eine Brücke überqueren. Danach sind wir auch schon fast in Zhabeshi, unserem Ziel für heute. Da wir uns einmal verlaufen, haben wir am Ende 18 statt 16 Kilometer auf der Uhr. Im Guesthouse empfängt uns Dodo, eine ältere charmante Dame, fürsorgliche Herbergsmutter, die noch dazu sehr gut Englisch spricht. Sie hat sich selbst Englisch beigebracht. Früher war sie Lehrerin im Dorf. Mit uns übernachten auch andere Wanderer aus der ganzen Welt (Niederländer, Briten, ein Franzose, Spanier und Japaner) in der Unterkunft. Begegnungen, die sich in den nächsten Tagen wiederholen sollen. Morgens startet man in einer großen Gruppe die Tagesetappe, wobei sich die Gruppen unterwegs, je nach eigenem Tempo und Route, schnell zerstreut. Gegen Nachmittag haben alle ihr Tagesziel erreicht und sich auf verschiedene Guesthouses verteilt. Im Laufe der Tage trifft man sich immer wieder, auf dem Weg, während der Rast oder in einem der Guesthouses. Die Guesthouses sind meist sehr einfach: zwei, drei Betten mit durchgelegenen Matratzen, ein gemeinsames Badezimmer und immer sehr gutes und großzügiges Abendessen und Frühstück. Alles zusammen für umgerechnet 30 Euro.
Die zweite Etappe ist mit 10 Kilometern zwar der kürzeste Tag, führt aber die ersten drei Stunden sehr steil bergauf (900 Höhenmeter). Beim Abstieg haben wir das Gefühl in der entlegenen Wildnis zu sein, wir sehen lange Zeit keine weiteren Wanderer und auch kein Dorf oder weitere Spuren von Zivilisation. Der letzte Kilometer führt uns an einem Talhang entlang. Weit kann es nicht mehr sein, aber es ist kein Dorf zu sehen. Plötzlich tauchen hinter einer Kuppel unvermittelt die Wachtürme von Adishi auf. Aus einer Dorfbar ein paar hundert Meter entfernt hören den Anfang von „Wish You Were Here“ von Pink Floyd. Irgendwie passend – Zufall? Wir wissen es nicht, folgen einfach weiter der Melodie und fühlen uns wie auf der Heimkehr nach einem großen Abenteuer.
Der dritte Tag steht ganz im Zeichen des Adishi-Gletschers. Die Etappe ist die längste, aber auch die interessanteste Wanderung. Die ersten Kilometer geht es fast flach durch ein Tal, parallel zu einem Fluss, den wir heute noch überqueren müssen.Von fern sieht es so aus, als würde das Schmelzwasser in kleinen kontinuierlich Rinnsalen vom Hang des Gletschers fließen, die sich im Verlauf zu einem großen reißenden Fluss sammeln. Im Verlauf der Mittagssonne nimmt der Pegel zu, deshalb empfiehlt es sich früh aufzubrechen.
Nach etwa fünf Kilometern erreichen wir eine Stelle, die zum Überqueren gedacht ist. Alternativ kann man sich und sein Gepäck für 20 Lari (rund 8 Euro) mit einem Pferd über den Fluss tragen lassen. Das kommt für uns nicht in Frage. Eine halbe Stunde lang suchen wir eine geeignete Stelle. Die ersten zwei Drittel sind kein Problem, hier kann man von Stein zu Stein springen und es ist recht flach. Wenn man erstmal akzeptiert hat, dass man nicht trocknen Fußes das andere Ufer erreichen kann und sich in das eiskalte Wasser traut, geht auch das letzte Drittel ganz fix. Um einen sicheren Halt auf den wackeligen Steinen zu haben, haben wir die Wanderschuhe angelassen. Dafür werden wir den Rest des Tages nasse Füße haben. Aber das ist uns im Moment noch egal. Gemeinsam und Schritt für Schritt arbeiten wir uns durch den Fluss. Knietief im Wasser zerren die Stromschnellen an uns, das eiskalte Wasser schmerzt wie Nadelstiche. Ein paar andere Wanderer leihen uns ihre Wanderstöcke und feuern uns vom anderen Ufer aus an. Was für ein Abenteuer!
Anschließend trocknen wir erstmal unsere Socken, Schuhe und Hosen und wärmen unsere Füße. Timo hilft noch heldenhaft zwei anderen Wanderinnen, bevor wir uns auf den weiteren Weg machen. Nun heißt es erstmal 600 Höhenmeter bergauf. Eben noch im kalten Wasser gefroren, brennt uns nun die Sonne ungnädig auf den Kopf. Es geht zwar durch viel Büsche und Gestrüpp, der Weg spendet aber kaum Schatten. Die Aussicht ist allerdings unglaublich schön. Nach kurzer Verschnaufpause folgt ein langer steiler Abstieg, der fast noch beschwerlicher ist. Unsere Füße und Gelenke schmerzen, die, aufgeweichte Haut in den nassen Schuhen wird wund. Auf dem Weg begleitet uns aber die meiste Zeit der Gletscher. Ein blick hoch auf die schneebedeckten Spitzen der über 5.000 Meter hohen Gipfel entschädigt unsere Mühen. Am Abend erreichen wir dann Iprari. Für heute hatten wir keine Unterkunft im Voraus gebucht. Problemlos finden wir ein Guesthouse, das noch ein Dreibett-Zimmer für uns hat.
Die letzte Etappe führt nach Ushguli. Die Etappe hat nur 12 Kilometer und die wenigsten Höhenmeter. Trotzdem ist es gefühlt der anstrengendste Tag. Der Weg ist bisweilen beschwerlich. Schmale Pfade, die die Natur sich bereits zurückerobert. Steile An- und Abstiege wechseln sich weiterhin ab. Nach der Hälfte des Weges ist die Luft ein wenig raus und die Kräfte schwinden uns dahin. Trotzdem machen wir kaum Pausen. Wir wollen gerne endlich in Ushguli ankommen. Gegen 14 Uhr checken wir in unserem Hotel ein und öffnen unser erstes Bier, mit dem wir auf das Ende der Wanderung anstoßen. Geschafft, vier Tage, 60 Kilometer, 3500 Meter rauf und 2800 Meter runter…
Ushguli ist das höchst gelegene Bergdorf Europas und UNESCO Weltkulturerbe. Es ist sehr pittoresk mit den typischen Wachtürmen und der Panoramaaussicht auf den Gletscher und die höchsten Berge des Kaukasus. In der Hochsaison starten bis zu 150 Wander:innen den Trail von Mestia nach Ushguli. Zusätzlich kommen zahlreiche Tagestouristen mit dem Auto, die Straßen werden stetig ausgebessert. In den letzten 10 Jahren hat es sich hier sehr verändert. Und es wird weiter saniert und gebaut. Davon unbeeindruckt trotten die Kühe weiterhin über die Straßen, suchen neben parkenden Autos nach etwas fressbarem, während sich Straßenhunde unter den Autos ein schattiges Plätzchen suchen. Swanetien wirkt wie ein aus dem Dornröschenschlaf gewecktes Bergidyll. Zuerst waren wir nicht sicher, ob der international beliebte und viel besuchte Trail zu überlaufen sein würde. Tatsächlich stellten sich die Begegnungen und Freundschaften, die wir auf dem Weg machten als ein Highlight des Trails heraus.
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Sehr schöner Beitrag, das Bier am Ende habt ihr wirklich verdient!!
Das sieht so toll aus!
Wow, tolle Leistung und beeindruckende Landschaft. Liebe Grüße euch
😍
Ihr seid sowas von unternehmungslustig, das steckt an. Schöner Bericht, tolle Fotos. Safe journey