Der Reunification Express
Die Fahrt im Nachtzug durch Vietnam beginnt für uns etwas unbequem. Wir steigen aus der tropischen Hitze von Saigon in den klimatisierten Zug und beziehen unsere Kabine. Die Klimaanlage bläst eiskalte Luft in den Wagon. In unsere Jacken und Decken eingewickelt kauern wir auf den harten Pritschen unserer Kabine und versuchen Schlaf zu finden. Aus den Lautsprechern plärren viel zu laut die Ansagen. Auf dem Gang begegne ich einem fröstelnden Mitreisenden, der ein Fenster geöffnet hat, um sich an der Fahrtluft zu wärmen.
Schließlich gehe ich zu unserer Schaffnerin, die sich grad Zubettgehfertig macht, und bitte sie, die Klimaanlage in unserer Kabine herunter- oder abzuschalten. Ich befürchte schon, dass sie mich nicht verstehen oder mir erklären wird, dass dies nicht möglich ist. Aber sie fragt nur, in welchem Waggon wir sind und geht direkt zu einem Schaltkasten und stellt das Gebläse in unsere Kabine ab. Gegen 3:00, wir haben grad in einem Bahnhof gehalten, springt die Klimaanlage wieder an. Wir versuchen es zu ignorieren, schließlich tapere ich erneut zur Schaffnerin. Ich muss sie wecken, was mir sehr leid tut. Wortlos geht sie wieder zum Schaltkasten und wir können weiterschlafen. Dieses Spiel soll sich am folgenden Tag noch einige Male wiederholen.
Der Zug rumpelt, schaukelt und rattert durch die Dunkelheit. Ein paar Mal werden wir von einem Halt an einem Bahnhof, einem Quietschen oder unsanftem Bremsen geweckt.
Eine Zeitzeugin und ein nationales Symbol
Auf der Nord-Süd Bahnlinie des Reunification Express kann man fast die gesamte Länge Vietnams entlangfahren. Die Strecke führt über 1.726 km von Ho Chi Minh Stadt (Saigon) bis nach Hanoi und wird von der vietnamesischen Staatsbahn (Vietnam Railways) betrieben. Wir fahren zuerst die Süd- Etappe von Ho Chi Minh City nach Hue. Etwa 1.000 km, für die der Zug etwa 20 Stunden braucht.
Die Geschichte der Nord-Süd-Bahn erzählt gleichsam die jüngere Geschichte Vietnams. Von ihrem Bau unter der Kolonialherrschaft Frankreichs (1899 -1936), die Kriege (Zweiter Weltkrieg, Indochina Krieg), die sie miterlebt hat, die Unabhängigkeit Vietnams 1945, die Teilung in Nord und Süd 1954, schwere Schäden und Zerstörungen, die sie als wichtiges strategisches Angriffsziel im Vietnamkrieg erlitt (oder Amerikanischen Krieg, wie man ihn hier nennt), bis zu ihrer Wiedervereinigung und Wiederaufbau 1975-76, unmittelbar nach Ende des Krieges. Sie ist Zeitzeugin und zugleich ein Symbol der Wiedervereinigung und Unabhängigkeit Vietnams.
Reparatur,- Instandhaltung,- und Ausbesserungsarbeiten wurden in den folgenden Jahrzehnten bis heute fortgeführt. Japan investierte in ein umfangreiches Sanierungsprojekt, dem Aufbau von Brücken und der Verbesserung der Gleise (z.B. zweigleisige Abschnitte) um einen „schnelleren, pünktlicheren und stabileren Bahnbetrieb zu ermöglichen“1.
Es bestehen Bestrebungen die Verbindungsstrecken zu Nachbarländern (wieder-)aufzubauen und Schnellzugstrecken auszubauen. So gibt es wohl Gespräche mit China über den weiteren Ausbau der Yunnan- Hanoi Strecke. Die Investoren zeigen sich aber zurückhaltend, auch weil Zweifel daran bestehen, dass Vietnam über ausreichend fachlich und technisch ausgebildetes Personal verfügt, um Schnellzugstrecken nachhaltig zu betreiben.
Ein Highlight zum Ende unserer langen, abenteuerlichen Reise
Am Morgen wird Christian von der aufgehenden Sonne über dem chinesischen Meer geweckt. Wir haben es geschafft. Nach 125 Tagen und über 28.000 km, die wir aus Deutschland per Zug, Bus, Auto, Fähre und Boot zurückgelegt haben, sind wir am Pazifischen Ozean angekommen.
Wir schaukeln mit nicht mehr als 75 km/h weiter durch das Land, manchmal kann der Zug nur Schrittgeschwindigkeit fahren. Es geht zunächst an der Küste entlang, dann weiter ins Landesinnere, vorbei an Reisfeldern, durch Urwälder, die die Strecke zum Teil überwuchern, über Brücken und Flüsse und durch Tunnel. Die Strecke ist größtenteils eingleisig gebaut. Es gibt viele kaum gesicherte Bahnübergänge, an denen immer wieder Unfälle passieren. Manchmal fährt der Zug mitten durch eine Stadt oder Dorf. An den Haltestellen (12 bis 13 gibt es auf der gesamten Strecke Saigon – Hanoi für die „Schnellzüge“) kommen Händler:innen und bieten ihre Waren, Dumpling, Reisgerichte, Getränke usw an.
Der schönste Abschnitt ist der Wolkenpass zwischen Danang und Hue. Während die Sonne bereits tief steht fahren wir entlang der Küste auf den Klippen hoch über dem Meer und schauen auf die Meeresbucht. Um uns herum wuchert das Grün. Wir kommen über eine Brücke auf eine Lagune, vorbei an kleinen Dörfern und Fischfarmen. Kleine Boote werden in dem flachen Wasser ihre Netze aus. Die Aussicht ist spektakulär und entschädigt sehr für manch fehlenden Komfort an Bord. Es ist eine der schönsten Zugstrecken, die wir auf unserer Reise erleben.
Hey, hier ist Pamir-Micha! 😁
Danke für den tollen Bericht.
Wir sind gerade heute in Saigon angekommen. Bis Hue steht die Planung.
Wollen von dort nach Ninh Binh. Da fahren wenige Busse und eben die Bimmelbahn. 😉
Ich tendiere zur Busfahrt, weil ich denke wir kommen ausgeruhter an und können im Hotel (ca. 3 Uhr in der Nacht) noch was pennen.
Mit dem Zug kämen wir um kurz vor neun morgens an und wären wahrscheinlich ziemlich gerädert.
Und dann direkt Sightseeing.
So, liebe Grüße an euch beide.
Genießt die Feiertage in der Heimat.
Frohes Fest und guten Rutsch.
Micha