Fast hätten wir vergessen, den Nachtzug nach Hanoi zu buchen. Unser letztes Ziel, bevor es zurückgeht. Zwei Tage vor Abfahrt buchen wir unsere Tickets online. Dabei finden wir noch ein leeres Abteil, wie schon auf der Fahrt von Ho Chi Minh City nach Hue. Als wir abends in den Zug steigen teilt uns der Schaffner freudig mit, dass wir keine weiteren Mitreisenden bekommen werden. Aber wenn das so bleiben soll, müssten wir eine kleine Gebühr bezahlen. Wir stellen uns doof und sagen ihm, dass wir kein Problem mit Mitreisenden hätten. Er probiert es noch einmal und lässt uns dann die ganze Fahrt über in Ruhe.
Nachdem wir auf der Fahrt nach Hue fast von der Klimaanlage tiefgefroren wurden, können wir die AC in diesem Abteil selbst regulieren. Wir schlafen schnell ein und wachen erst gegen 8 Uhr auf. Draußen ist es nass und grau, die Menschen frieren auf ihren Motorrollern. In Nordvietnam ist es deutlich kühler, mit Temperaturen um die 15 Grad.
Um halb zwölf kommen wir in Hanoi an und sind etwas melancholisch, angesichts der Tatsache, dass dies die letzte Reise mit dem Nachtzug war. Wir haben es geschafft: Im Nachtzug nach Hanoi. Nach 29.000 Kilometern mit der Eisenbahn, mit Bussen, Autos, Fähre, Boot und einem (nicht vermeidbaren) Flug sind wir in Hanoi angekommen.
Hanoi oder Ho Chi Minh City
Wenn man sich mit anderen Menschen unterhält, die einmal Vietnam bereist haben, dann kommt immer die Frage auf „Was hat dir besser gefallen, Hanoi oder Saigon?“ Oft fällt die Wahl auf Saigon oder Ho Chi Minh City, wie die Stadt seit 1976 heißt. Saigon die moderne Stadt mit dem Charme der französischen Kolonialbauten, breiten Boulevards, Frangipani Bäumen und tropischem Klima schneidet bei vielen besser ab als die trubelige Hauptstadt im Norden mit ihren engen, verwinkelten Gassen der Altstadt, dem Chaos der Rollerfahrer und Straßenverkäufern. Meine Theorie dazu ist, dass viele Reisende, die klassische Nord-Süd-Route nehmend, zuerst in Hanoi landen und sich Richtung Süden bis nach Saigon vorarbeiten. Wenn man aus der nasskalten Heimat in Hanoi landet, erschlägt einen die Stadt geradezu. Drei Wochen später ist man soweit akklimatisiert, dass man die zweitgrößte Metropole Vietnams ganz anders wahrnimmt und wertschätzt. Wir sind bei unserem ersten Besuch in Vietnam 2016 die entgegensetzte Route von Süden nach Norden gereist und haben Hanoi als unseren Favoriten in Erinnerung behalten.
Dieses Mal haben wir bereits einige Wochen in Südostasien verbracht, als wir nach Saigon kamen. Die Stadt wirkte ganz anders auf uns als beim letzten Mal. Wir genossen unseren Aufenthalt – den wir nur für ein paar Stunden auf unserer Durchreise geplant hatten – sehr. Als wir nun in Hanoi ankommen, wo es bereits deutlich kühler ist und der Himmel sich tagelang bedeckt zeigt, sehnen wir uns sogar ein bisschen zurück in den tropischen Süden.
Wie mir ein Ort gefällt, hängt auch immer mit meiner eigenen Stimmung und mit Erlebnissen und Zufällen zusammen, die sich schwer planen oder reproduzieren lassen. Meine innere Einstellung prägt meine Erfahrungen nicht weniger, als die Eindrücke selbst. Ich halte es fast für unmöglich einen Ort objektiv als schön oder sehenswert (oder das Gegenteil) zu beschreiben, weil die Person, die nach mir diesen Ort besuchen wird (einschließlich mir selbst) völlig andere Erfahrungen machen wird. Dem ungemütlichen Wetter und bevorstehenden Ende unserer Reise zum Trotz, nehmen wir uns vor, die letzten Tage in Hanoi zu genießen und mit ganz neuen, unvergesslichen Eindrücken zu füllen.
Street Photography Tour
Christian hat seit einiger Zeit seine Lust zu Fotografieren wiederentdeckt. Wir beschließen etwas Neues zu lernen. Wir buchen eine Street Photography Tour. Thang, ein professioneller Fotograf aus Hanoi, führt uns 3 Stunden durch seine Lieblingsecken in der Altstadt und zeigt uns, wie man die Scheu überwindet, Menschen, sogar aus der Nähe zu fotografieren. Zugegeben, Hanoi eignet sich hervorragend für Anfänger und unsere neuen Paparazzi Skills sind nicht unbedingt in Deutschland anwendbar. Aber wir lernen auch unseren Blick zu schulen für Bewegungen und Gesten, durch die unsere Bilder eine Szene oder ganze Geschichte erzählen können. Wir suchen nach Gegensätzen oder Gemeinsamkeiten, seien es Farben, Formen oder die Anordnung der Objekte im Bild, die eine bestimmte Stimmungen erzeugen können. Und wir lernen etwas über „Framing“, also Gegenstände oder Kulissen zu finden, die unserem Foto bzw. dem Objekt einen natürlichen Rahmen geben. Wir sind hoch zufrieden mit diesem Erlebnis und unserer Ausbeute.
Rückflug
Ein letztes Mal packen wir unsere Rucksäcke, sortieren einige Sachen aus, die wir nicht behalten wollen, die aber womöglich anderen noch nützlich sein können (Badartikel, Birkenstocks, Kleidung, Reiseführer, Snacks) und machen uns auf zum Flughafen. An der Bushaltestelle treffen wir Fabian wieder, einen Mitreisenden, den wir bereits im Zug nach Hanoi kennengelernt haben. Auch seine Reise geht heute, nach knapp 3 Wochen, zu Ende.
Eine Weltkarte auf dem Tablet im Flugzeug zeigt eine Miniaturansicht der bevorstehenden Flugstrecke an. Lauter wohlbekannte Namen von Städten tauchen auf und verschwinden wieder, während das kleine Flugzeug auf dem Bildschirm über sie hinweg fliegt. Die Animation dauert nur ein paar Sekunden. Wie ein Zeitraffer unserer Route, auf der wir in den letzten 18 Wochen unterwegs waren. So viele Orte, so viele Erinnerungen. In 11 Stunden werden wir wieder in Europa sein. Was für ein Mindfuck. Wir schalten den Bildschirm aus.